Rebellen, Malschweine und das Verschwinden des Internet
Ein Gespräch mit Johanna Reich zu ihrer Ausstellung »Resistance« im Kabinett des KuK vom 28.10.-18.11.
In ihrer Fotoserie »Resistance« befragt Johanna Reich Jugendliche aus zehn verschiedenen deutschen Städten im Alter zwischen 14 und 22 Jahren, welche Bedeutung für sie der Begriff »Resitance« in der heutigen Zeit hat und ob es für sie Idole des Widerstands gibt, mit denen sie sich identifizieren können. Daeas Bild des so ermittelten Widerständlers, Freiheitskämpfers oder Rebellen projiziert Reich auf das Gesicht des jeweiligen Jugendlichen und macht davon ein Foto. Die so entstandenen hybriden Physiognomien sind malerisch reizvoll und bieten Einblicke in das fragmentierte Wesen der Psyche, deren Anmutung an die explodierenden Gesichter des Malers Francis Bacon erinnert. Während bei Bacon die ultimative Verlassenheit des ins Absurde geworfenen Subjekts im Vordergrund stand, sieht Reich die Sache wesentlich versöhnlicher. Einer jüngeren Generation als Bacon angehörend, ist sie mit postmoderner Simulationsmodellen von Ich und Welt aufgewachsen und kann multiple, in digitalen Spiegelwelten pulverisierte Identitäten, in aller Ruhe untersuchen, ohne dies dramatisieren zu müssen.
Vor drei Jahren hattest du mit „Heroines und Amazonen“ (zu sehen auf der SHIFT-Website) ein ganz ähnliches Konzept mit Projektionen auf Gesichter wie jetzt in »Resistance« realisiert.
Lässt es auf einen »Photographers Block« schließen, dass du diesen Ansatz jetzt erneut thematisierst, oder auf einen langen konzeptuellen Atem?
Während des Projekts »Heroines und Amazonen« tauchte bei den Diskussionen mit den Jugendlichen auf Grund der alarmierenden politischen Entwicklung der letzten Jahre immer wieder das Thema Widerstand auf. Es blieb aber nie genug Zeit, alles zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Insofern erwuchs »Resistance« als logische Konsequenz aus dem vorangegangenen Projekt, quasi als Selbstläufer, den ich - nach anfänglichem Zögern - in die Freiheit entließ.
Ich habe eine Idee: Du könnest doch als nächstes auf die Gesichter von, sagen wir, glutenintoleranten Kfz-Mechanikern ihr Lieblingstier projizieren?
Hm, wenn du so fragst, muss ich mit einem Klischee antworten, Frauen und Autos, du weißt ja, das wird nix… Aber bei allem Sarkasmus, es trifft tatsächlich einen Ansatzpunkt von mir: mich interessieren plakative Muster, die auf den ersten Blick banal wirken und schon längst abgefrühstückt scheinen wie „die Frauenrolle“, „der Widerstand“ - ich habe z.B. auch zum Thema „Spiegelungen“ gearbeitet, ebenfalls ein sehr abgearbeitetes Motiv.
Gab es Statements oder Sichtweisen der Jugendlichen, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Es gab eine spannende Diskussion unter einigen Jugendlichen, als ein geflüchteter Junge einen politischen Rebellen seiner Heimat als Vorbild auswählte, der für sein Volk gekämpft hatte, aber gleichzeitig ein Massenmörder war. Wir haben lange über dieses hoch kontroverse Thema gesprochen und mich hat sehr beeindruckt, wie offen und fair die Jugendlichen miteinander umgegangen sind – diese aufrichtige Auseinandersetzung hat mich ziemlich berührt.
Fällt es dir leicht, mit Models zu arbeiten, oder wärst du während des Shootings lieber woanders?
Es gab während des Projekts keine klassische Model-Fotografen-Situation. Mir war es wichtig, dass die Teilnehmenden zum aktiven Teil des Projekts wurden und nicht nur passiv ihre Gesichter hinhielten. So haben wir immer mit mehreren Jugendlichen gleichzeitig gearbeitet, sie konnten die Position des Projektors bestimmen, auch selber Fotos machen und entscheiden, in welcher Haltung, Mimik und Gestik sie auf den Fotos zu sehen sein würden. Ich war bei weitem nicht so präsent und bestimmend, wie es normalerweise bei einem Shooting der Fall wäre. Für mich war dies ein extrem reizvoller und herausfordernder Prozess, so viel Kontrolle abzugeben.
Du bist ja sehr vielseitig, du fotografierst, machst Video und meiner Meinung nach auch soziale Plastik. Angesichts der kulinarischen Farbigkeit deiner Bilder und ihrer sinnlichen Texturen frage ich mich: Wärst du nicht lieber Malerin geworden?
Was heißt hier »lieber«? Ich BIN Malerin! Mit deiner Frage triffst du aber genau den wunden Punkt meiner Arbeit und deren Vermittlung. Generell werde ich durch die Bank als Medienkünstlerin bezeichnet. Gut, damit ist der technische Apparat, den ich verwende korrekt beschrieben. Dass der mediale Crossover, wie ich ihn verstehe, aber immer wieder auf malerische Grundfragen zurückkommt, dass ich mich als fotografierende/filmende Malerin sehe, wird partout nicht zur Kenntnis genommen.
Über meine letzte Museumsausstellung z.B. wurde einiges geschrieben, aber, dass ich, wie ich den Presseleuten nicht müde wurde zu erklären, Malerin bin, blieb komplett unerwähnt.
Spielst du mit »Malerin sein« auf die malerische Anmutung deiner digitalen Oberflächen an, oder wolltest du anfänglich tatsächlich im klassischen Sinne Malerin werden?
Ich wollte nicht, sondern bin, wie ich schon mehrmals sagte, M.A.L.E.R.I.N.! (lacht). In post-digitalen Zeiten sollte man doch inzwischen annehmen dürfen, dass eine Malerin nicht zwangsläufig ihr Atelier vollklexen muss, um als solche zu gelten.
Tatsächlich habe ich ein Jahr lang ganz handfest und klassisch Malerei studiert. Dann ging ich in die Klasse zu Paul Isenrath. Als großartiger Künstler und Lehrer hat der mich stark beeinflusst. Im ersten Semester wurden wir erst durch eine ausführliche Schule des Sehens geschickt, bevor wir daran denken konnten zu theoretisieren oder die Bilder der Kommilitonen zu beurteilen. Beim gemeinsamen Betrachten der Semesterarbeiten herrschte mindestens fünf Minuten lang Redeverbot – ganz besonders für den Studenten, dessen Arbeit gerade »besprochen« wurde (lacht). So haben wir uns angewöhnt, erst mal sehr genau hinzusehen, bevor wir anfangen eine dicke Lippe zu riskieren.
Dass ich dann nach einem Jahr von der traditionellen Malerei zu digitalen Medien wechselte, hatte allerdings sehr viel mit theoretischen Überlegungen zu tun.
Die tausendjährige Tradition des Malens lässt wenig Freiraum, sich klar konturiert zu positionieren. Es reichte mir einfach nicht, eine lange und gründlich erforschte Tradition unhinterfragt fortzusetzen. Ich wollte aktueller, zeitbezogener und unverwechselbarer Arbeiten und habe deshalb neue Wege gesucht.
Vermisst du die sinnliche Sensation des Eimerschleppens, den Terpentingeruchs und die Expeditionen in den Baumarkt?
Viele Maler, wie z.B. der von mir bereits erwähnte Francis Bacon, beschreiben ja die körperlichen Sensationen, des im Sinnlichen wühlenden und sich suhlenden »Malschweins« als identitätsstiftend.
Natürlich liebe ich die Haptik, das Hantieren mit Farben und die Gerüche im Atelier! Schließlich war das meine Leidenschaft von Kindesbeinen an. Aber erstens darf man den körperlichen Aspekt bei meiner Foto- und Videoarbeit nicht vergessen, es gibt auch da einiges zu schleppen und durchaus handfeste handwerkliche Herausforderungen zu meistern.
Außerdem ist es ja so, dass ich es mir immer wieder gönne, traditionelle Malerei in meine mediale Arbeit einzubauen. In meinen Videos male ich z.B. vor laufender Kamera und steigere das von dir glorifizierte Suhlen in der Farbe sogar soweit, indem ich scheinbar ganz in ihr verschwinde.
Die Beherrschung der Technik und den dazugehörigen handwerklichen Aspekten bieten einen gewissen Ersatz für die Haptik und Körperlichkeit der klassischen Malerei. Bis so ein Shooting in all seinen Aspekten steht, muss ich mir oft genug die Hände schmutzig machen und den ein oder anderen Besuch im Baumarkabsolvieren.
Ist der enorme technische Fortschritt in den bildnerischen Medien der letzten zwei, drei Jahrzehnte tatsächlich von Vorteil? Sind die Bilder heute besser als, sagen wir, 1955?
Nein, natürlich nicht. Jede Zeit hat ihre Tools, nur ändern sich diese in unserer Zeit in exponentiellem Tempo. Was sich definitiv verändert hat, ist, dass gutes Handwerkszeug inzwischen so ziemlich jedermann zugänglich ist. Fotografieren konnte ab ca. 1920 jeder, der das gerne wollte, aber bei Video kostete ein anständiger Schnittplatz bis vor kurzem noch zigtausende. Ob der demokratisierte Zugang zu High End Technik das Qualitätsniveau gehoben hat, scheint mir fraglich.
In den 90ern, als die ersten digitalen Camcorder massentauglich wurden, schwärmte Francis Ford Copolla davon, dass er gespannt darauf warte, dass ein schüchternes, dickes Mädchen aus der amerikanischen Provinz ihn und seine etablierten Filmkollegen links überholen, die Filmkunst neu erfinden und zum Mozart des Mediums werden würde. Eigentlich erstaunlich, dass wir in Zeiten, in denen alle Dämme zum Zugang zu bislang unerschwinglichen Produktionsmitteln brechen, immer noch auf das Kommen dieser Heilsfigur warten.
Auf Youtube z.B. gibt es schon einige innovative Sachen von Leuten, die virtuos und locker mit dem Medium umgehen, aber tonangebend ist nicht Erfindungsfreude, sondern narzisstisch gefakte Instagram-Identitäten. Ich kann nur vermuten, dass eben doch nicht jeder Mensch ein Künstler ist. Auch wenn die Lust am kreativen Ausdruck etwas Großartiges ist, hat nicht jeder den genauen, künstlerischen Blick. Kunst entsteht ja nicht nur durch Kreativität, sondern im durch die Summe aller Erfahrungen einer Biographie, einer Lebenseinstellung und Haltung.
Zur ganzen technischen Sache möchte ich noch sagen, dass mich der Gegensatz von Original und Kopie sehr interessiert. Wenn ich etwas auf Leinwand projiziere, habe ich einerseits ein Original und andererseits auch kein Original. Das ist spannend und macht, wie ich glaube, unsere Zeit aus, dass wir in der echten Welt leben und gleichzeitig auch in den Scheinwelten des Internets und des Digitalen, die letztlich aber, von einer höheren Warte aus betrachtet, denselben Anspruch echt zu sein erheben dürfen, wie alles andere auch. Je mehr das Internet verschwinden wird, wird das Festhalten an Original und Kopie noch fragwürdiger, als es jetzt schon ist.
Wie meinst du, das Internet wird verschwinden? Denkst du da utopisch, dsytopisch in Richtung Cyborg oder mehr in Vorstufen?
Mehr in Vorstufen. Das Internet wird verschwinden, je weniger wir es direkt sehen. Wenn der Kühlschrank, der Staubsauger und die Haustür miteinander vernetzt sind und wir die Datenströme durch weiterentwickelte Google-Glasses betrachten, wird uns das Internet als solches immer weniger bewusst. Es gibt gerade sehr aufgregende Entwicklungen in der Hologrammtechnik, die es bald ermöglichen werden, Hologramme buchstäblich zu berühren. Wie jetzt? Haptische Sensationen bei Hologrammen?
Ja, genau. Hologramme sind ja Lasertechnik und hier brennt sich der Laser ein bisschen - also ein minimales bisschen - in die Haut ein und simuliert die Empfindung einer Berührung. Wir haben also etwas, das gar nicht da ist und fühlen es doch. Ein Traum! Ich würde nur allzu gern damit arbeiten, aber außerhalb Asiens ist es kaum möglich, an Prototypen heranzukommen.
Im Rahmen meines Lehrauftrags an der Kunstakademie in Münster haben wir eine App zur Augmented Reality entwickelt. Wir machen diverse Experimente, um den öffentlichen Raum auf eine neue Weise zu erobern, aber für mich selbst, für meine persönliche Arbeit nutze ich es nicht. Obwohl es mich fasziniert, passt es noch nicht richtig zu meinen aktuellen Fragestellungen. Damit zu arbeiten, nur um neueste Techniken zu benutzen, wäre mir zu Effekthascherisch.
Naja, zu deinem momentanen Ansatz, Malerei mit Projektionen zu verbinden passt es schon ganz gut. Ehrlich gesagt, mache ich mir keine Sorgen, dass du nicht in allerkürzester Zeit mit einer zündenden Idee zu Augmented Reality herauskommen und uns danach täuschend echte Hologramme über den Schädel ziehen wirst.
Das Gespräch führte Gabor Baksay
Eine Ausstellung des Projekts SHIFT im Kabinett des KuK Monschau
Eröffnung am Sonntag, 28. Oktober 2018 um 11 Uhr.
Öffnungszeiten:
dienstags bis freitags von 14-17 Uhr sowie
samstags und sonntags von 11-17 Uhr.
KuK Kunst- und Kulturzentrum der StädteRegion Aachen
Austraße 9
52156 Monschau