Andrea Borowski: „Weihnachten“, 2010-2017
Ausstellung vom 19.11. - 17.12.2017
Vernissage am Sonntag 19.11. um 12:00 Uhr
KuK Monschau
Zu den nicht verhandelbaren Grundfesten der bürgerlichen Kleinfamilie gehört eine sorgfältig ausgesuchte, möglichst abwaschbare Tapete. Weil das so ist, spielt dieses Accessoire bourgeoiser Behaglichkeit in Andrea Borowskis Hymne an den vom Aussterben bedrohten Kleinfamilienverbund des Spätkapitalismus eine ästhetisch tragende Rolle.
Die Tapete bildet das Leitmotiv, quasi den visuellen Generalbass, an dem sich alle anderen Elemente farblich und textural ausrichten. Diese Vorgehensweise gehört zu den Errungenschaften der Moderne, wird aber von weniger sensiblen Fotografen oder Künstlern gerne ins Gegenteil verkehrt. Alle Aufmerksamkeit fokussiert sich auf den Vordergrund, den »eigentlichen« Bildgegenstand, während alle anderen Bildelemente ein wenig beachtetes Dasein in der zweiten und dritten Reihe visueller Statisterie fristen müssen.
Borowskis chirurgische Präzision in der Komposition ihrer festlichen Palette, ihr feldherrenmäßiger Überblick über jedes noch so nebensächlich scheinende Detail auf dem Schlachtfeld ihrer Gestaltung, verleiht ihrer Arbeit geradezu altmeisterliche Qualitäten.
Dabei steht ihr ein im Zeitgenössischen fußender »Hang zum Gesamtkunstwerk« (Harald Szeeman) zur Seite, der es vermeidet, ihre Abzüge als isolierte Objekte der Betrachtung zu präsentieren, sondern als dreidimensionale Installation: Der Ausstellungsraum wird tapeziert, mit Teppichboden auslegt und mit dem ein oder anderen strategisch im Raum platzierten Möbelstück kunstvoll akzentuiert.
Das Ergebnis ist ein ästhetisch hinreißendes, durchaus auch komisches Voodoo der raumgewordenen Beschwörung des zentralen Fetischobjekts familiären Beisammenseins: Weihnachten.
Seit der Geburt ihrer Tochter, 2010, versammeln sich die Borowskis zur Vorweihnachtszeit, um vom Gelingen ihres Fortbestands im laufenden Jahr zu künden.
Wer die Arbeit der Fotografin kennt, freut sich schon jetzt auf die berauschende Farbigkeit ihrer glänzenden Oberflächen, die sich dank des weihnachtlichen Themas in besonderer Opulenz darstellen.
Aber das Vergnügen ist diesmal nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein anthropologisches. Vor unseren Augen entfaltet sich eine Familiensaga, die nicht nur den ganz speziellen Blickwinkel einer humorbegabten, ein wenig skurrilen Künstlerfamilie zeigt, sondern exemplarisch für die Lebensleistung millionenfach operierender Kleinfamilienverbände steht, die sich täglich tapfer in den Kampf um die Aufrechterhaltung des eigenen Archetypus stürzen.
Auf dem ersten Foto von 2010 meint man, dem jungen Paar die Strapazen der Geburt noch anzusehen. Die Kleidung der stolzen Mutter wirkt weit weniger festlich als in den folgenden Fotografien, vielmehr praktisch, pflegeleicht – darf man sagen, ein klein wenig schäbig? Die Begründung liegt auf der Hand: Die Verwendung strapazierfähiger Kleidung ist in diesem Fall opportun, um im Fall postnataler Komplikationen schnell ins Taxi Richtung Krankenhaus springen zu können, ohne die vorweihnachtliche Gewandung allzu sehr zu zerknittern oder auf der Station overdressed zu wirken. Durchaus erschütternd auch, die zerzauste Anmutung des Herrn Papa, der sich, von den Aufregungen des Vaterwerdens noch sichtlich entkräftet, an einer Kommode festhalten muss.
Das Folgefoto der inzwischen wieder konsolidierten Familie von 2011 dagegen zündet ein triumphales Feuerwerk an Wohlgenährtheit und pumperlgsundem Kräfteüberschuss. Ablesbar ist das am kess in die Höhe schießenden Weihnachtsbaum, an der üppigen Flauschigkeit des Hirtenteppichs, in dessen Kuscheligkeit die Füßchen des Töchterchens förmlich gebadet werden, vor allem aber an der Freude am akzentuierten Styling der gesamten Sippschaft. Das farbliche Finetuning von Mutter und Tochter wirkt schon auf erlesene Weise wertig, wird aber vom Design des Vaters noch in den Schatten gestellt, der in einer auf befreiende Weise halbseidenen Anmutung als mediterraner Dorfplatzgigolo daherkommt. Offensichtlich wieder voll im Saft stehend, bricht sich seine wiedergewonnene Lebenskraft im geradezu explodierenden Haupthaar seine Bahn. Überhaupt sind die Haare des Herrn Gemahls, neben den bereits erwähnten Tapeten und dem farblich perfekt angepassten Mobilar, ein weiteres Ass im ästhetischen Arsenal der Fotografin. Die von Jahr zu Jahr in immer neue Richtungen wogenden, wallenden, durchaus komischen Frisuren des Ernährers der Familie versteht Andrea Borowski eindeutig skulptural. In der Arbeit von 2014 unterstreicht sie diese ästhetische Strategie durch Einsatz einer mützenartigen Kopfprothese ganz explizit.
Visuelle Zerstreuung auf hohem Niveau bietet die Entwicklung des Fräulein Tochter, das nach einem offensichtlichen Krisenjahr 2012, in der bislang letzten Aufnahme von 2016, sich ihres Babyspecks endgültig entledigt hat, um als gereifte Erstklässlerin dem Ernst des Lebens interessiert, furchtlos und umwerfend charmant entgegenzublicken.
Erschütternd dagegen der Anblick der Aufnahme von 2015. Wie konnte das geschehen? Welche düsteren Schicksals-Winde haben das fragile Familienschiffchen in dieses Abseits des urdeutsch Waldmeisterlichen und Kleinkarierten geweht? Vielleicht lag es am versehentlichen Genuss der im Bild sprießenden bewusstseinswerweiternden Pilze, dass das Borowskische Oberstübchen so in Unordnung gebracht wurde…?!
Umso größer dann die Erleichterung, als 2016 nicht nur alles wieder in bester Ordnung war, sondern überdies die festliche Pracht des genießerischen Familienglücks sich noch üppiger, siegesgewisser und preziöser darstellt als in den Aufnahmen zuvor.
Nicht auszudenken, was sich in der bevorstehenden Aufnahme 2017 zeigen wird!
Doch nicht etwa das… Jesuskind?!?
Gabor Baksay
Andrea Borowski "Weihnachten" 19.11. – 17.12.2017 KuK, Monschau