ABOUT A BILLABONG
Ausstellung von Joost Faas im Kabinett des KuK Monschau
10.06.-01.07.2018
Nach der Aura des Rätselhaften der in abendlichen Geisterstunden aufgenommenen Lichtstimmungen, seiner Serie „Lichtverschmutzung“, zeigt Joost Faas in der kommenden Ausstellung das scheinbar genaue Gegenteil.
Der Augenschmaus der auf pittoresken Wasseroberflächen mehr schwebenden als schwimmenden Alltagsobjekte verkündet eine daseinsfrohe Diesseitigkeit mit geradezu berauschender Freude an Farben, an deren sinnlich, leckeren Üppigkeit man sich kaum sattsehen kann. Im besten Sinne also: »L’art pour l’art«.
Ende der Rezension.
Da im Obigen sämtliche bekannten Fakten zur Ausstellung genannt wurden, wäre es eine gute Gelegenheit abzubrechen. Wem das aber zu wenig ist und wer Bleiwüsten und ausschweifende Gedankenflüge liebt, fühle sich eingeladen, in der Nachfolge von Walter Benjamins »Passagenwerken«, noch ein wenig an den Assoziationsfeldern von Joost Faas’ Schaffen entlang zu flanieren.
»About a Billabong« bietet folgende Assoziationsfelder: »Die Ambivalenz von Oberfläche vs. Tiefe«, »Eye Candy«, »Abstrakte Fotografie«, »Wasser und seine Beziehung zum Unbewussten«, »Philosophie der Aborigenes (Billabong ist ein Aborigine-Begriff)«
Hier bitte Ihre persönlichen Assoziationen eintragen... ... ... ... ... ... ... ... ...
Bekanntlich ist Fotografie im doppelten Sinne eine Kunst der Oberfläche. Im Gegensatz zu Musik, Poesie oder abstrakter Malerei, die allesamt eine Dimension der Tiefe (was immer das auch sein mag) für sich beanspruchen, beschränkt sich die Fotografie aufgrund ihrer technischen Gegebenheiten auf die Darstellung von Oberflächen. Eine Ausnahme bilden die spektakulären Bildwelten der Computertomografie. Aber diese zeigt im Grunde auch nur immer weiter verschachtelte Oberflächen, was darauf schließen lässt, dass mit „Tiefe“ etwas anderes gemeint sein kann als gemeinhin angenommen.
Eine Kunst der Oberfläche ist Fotografie aber auch, weil das bildgebende Verfahren selbst auf einer Oberfläche stattfindet: dem lichtempfindlichen Film bzw. dem digitalen Sensor. Die Fotografie kann zwar tricksen, verfremden und verbiegen, aber sie kann sich nicht von der Oberfläche ihres Gegenstandes lösen.
Diese Obsession des Zweidimensionalen treibt Joost Faas auf die Spitze, indem er seine verführerisch glitzernde Wasseroberfläche unter Vernachlässigung der Vertikale, nahezu ausschließlich auf die horizontale Fläche beschränkt. Dies hat er mit dem Verfahren der abstrakten Malerei gemeinsam, die mit ihrem Versuch, den illusionären Guckkastenraum der Renaissance hinter sich zu lassen, zweidimensionalen Räumen den Vorzug gab. Die Abstraktion von Joost Faas beruht auf dem Zusammenspiel von Malerei und Fotografie unter dem Primat der Farbe.
Dabei ist es völlig unerheblich, dass in den Bildern gegenständliches erkennbar ist. Ob Blätter, Speiseeis oder der niederländische Pass des Fotografen gezeigt werden, ist nebensächlich. Sämtliche Gegenstände dienen als Derivate des Realen lediglich dem abstrakten Spiel von Farben auf der Wasseroberfläche. Eye Candy von hinreißender Qualität.
Physikalisch ist allen Oberflächen ihre prinzipielle Ambivalenz gemeinsam: Sie können sowohl als aphrodisierte, sinnliche Kontaktfläche zur Umgebung gesehen werden oder als verhärtete Abgrenzung zu derselben. Im erstaunlichen IV. Kapitel von »Jenseits des Lustprinzips« zeigt Freud, wie die menschliche Kontaktfläche zur Außenwelt, das zentrale Nervensystem, zum Schutz vor einer Überflutung durch äußere Reize, eine quasi anorganische Rinde bildet, die mehr abstoßend als osmotisch funktioniert.
Die menschliche Kontaktfläche zur Außenwelt besteht also aus einer tendenziell abgestorbenen, unsinnlichen Rinde. Die Erregungssensationen, die hier passieren können, sind lediglich ein Bruchteil des »Real Thing«; was u.a. der Grund ist, weshalb die menschliche Sehnsucht nach ozeanischen Gefühlen der Grenzüberschreitung so überwältigend und jenseits aller Vernunft die Ursache aller möglichen Süchte ist.
Meisterdenker und erwiesene Experten auf dem Gebiet ozeanischer Gefühle sind die Aborigines Australiens. Deren auf Poesie gebaute, elaborierte Philosophie wird – um mal ganz lässig eine unbewiesene Behauptung einzustreuen – in nicht allzu ferner Zukunft, wenn es sich endgültig ausgeheideggert und -gehegelt hat, die international tonangebende sein.
Wir wissen nicht, warum Joost Faas ausgerechnet ein Wort aus der Aborigine-Sprache zum Titel seiner Ausstellung gewählt hat. Wahrscheinlich war er vom Glitzern und Schillern seiner delikaten Wasseroberflächen so angetan, dass er auf die Emotion des ozeanische Sausens und Brausens hinweisen wollte, den der Anblick von Wasser auslösen kann.
Vielleicht wollte er auch nur den dominanten, zweidimensionalen Oberflächen seiner Arbeiten eine vertikale Dimension entgegensetzen.
An dieser Stelle ist es interessant zu wissen, dass Joost Faas einen hohen technischen Aufwand betrieben hat, um diese bewusst erzeugte Ambivalenz von Zwei- und Dreidimensionalität in Szene zu setzen. Dazu hat er einen Aufbau konstruiert, der es ihm ermöglicht, durch mehrere Ebenen Glas und Wasser hindurch zu fotografieren. Dadurch war es ihm möglich, die Objekte auszuleuchten, ohne eine Brechung des Lichteinfalls durch die Wasseroberfläche in Kauf nehmen zu müssen. So entsteht der Eindruck gravitätischen Schwebens der klar umrissenen Objekte, die wirken, als lägen sie im Wasser, während sie ihre ursprüngliche Stofflichkeit jedoch behalten.
Um jetzt endgültig die Grenze zur Spekulation zu überschreiten: Vielleicht hat Joost Faas das Wort »About« ganz bewusst seinem Ausstellungstitel »About a Billabong« hinzugefügt, um an eine zentrale philosophische Methode der Aborigines zu erinnern: den »Walkabouts«. Diese motorische Stimulanz des Zentralnervensystems durch eine ganz bestimmte, ritualisierte Form des Schreitens, dient der Initiation junger Aborigines und hat mehr mit Benjamins umkreisender Methode des »Flanierenden Denkens« zu tun als mit Descartes’ Geraden als kürzester Verbindung zweier Punkte.
Wenn so ein Clan beim Umherziehen auf ihren traditionellen »Songlines« (Traumpfaden) auf eines der seltenen Wasserlöcher stößt, ist das kein gewöhnliches Ereignis, sondern ein Moment höchster Kostbarkeit. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass »Billabong« in der Sprache der Aborigines die Bedeutung von »Wasserloch« hat? Laut Wikipedia bezeichnet »Billabong« ein: »Gewässer, wie beispielsweise einen versickernden Flussarm oder ein Wasserloch in einem Flusslauf, das sich [...] in der Regenzeit mit Wasser füllt und während der Trockenzeit mehr oder minder stark austrocknet.«
Dem meditativ durch seine Traumzeit schreitenden Aborigine ist es möglich, sich in die Vorzeit zurückzuversetzen. Dorthin, wo sich alles Material noch in einem großen Vor-Raum befand, bestehend aus Felsen, Pflanzen, Tieren, Menschen, wo alles an ineinander fließt und miteinander korrespondiert.
Mit nichts lässt sich dieses spezifische Gefühl besser visualisieren als mit Wasser.
Nun bekommen Faas’ zweidimensionalen Flächen doch noch einen ordentlichen Zug nach unten. Diese Tiefe bildet zu der Zweidimensionalität der Arbeiten die Herznote eines „kühlen Grundes“, der die auf der Oberfläche so sorgfältig voneinander geschiedenen Einzelobjekte in einem der Traumzeit artverwandten Prozess der Osmose zu vermischen oder sagen wir ruhig, zu verschlingen, droht.
Kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe hat in seiner Eigenschaft als epochaler Bescheidwisser und notorischer Produzent von Weisheiten in seinem Gedicht: »Der Fischer« (»Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll«) das letzte Wort zu Joost Faas’ Ausstellung gesprochen:
»Halb zog sie ihn, halb sank er hin.«
P.S.
Zur Ehrenrettung der hier vielleicht etwas blauäugig als nebulöse Zwangsromantiker dargestellten Aborigines, sei gesagt, dass dieses liebenswerte Völkchen seine durchaus auch humorig, diesseitige Seiten hat, mit denen es z.B. unsere westlich verklärte Sicht auf die ehrenwerte Spezies der Delfine folgendermaßen verhohnepipelt: „Delfine haben wir nie gefangen, sie schmecken nicht, wir nennen sie ›Irra Buga‹ – die aus dem Mund stinken."
P.P.S.
Wer die Behauptung vom Wasser als natürlichem Element der Traumzeit nicht glauben mag, möge sich versuchsweise an das Ufer des bescheidensten, um nicht zu sagen, schäbigsten Gewässers weit und breit begeben: dem gerade mal 20 cm tiefen Aachener Annuntiatenbach.
Spätestens nach 5 Minuten meditativen auf die Oberfläche Schauens, entwickelt selbst dieses lachhafte Karikatur eines Bächleins hypnotische Sogkraft.
Und wer nach, sagen wir, 10 Minuten nicht die Umrisse der bauchigen Regenbogenschlange erblickt, die in der Traumzeit im Verein mit zahlreichen anderen Wesenheiten die Welt erschuf, hat eindeutig zu viel Descartes gelesen.
(Gabor Baksay)
Joost Faas – ABOUT A BILLABONG
10.06.-01.07.2018
Eine Ausstellung des Projekts SHIFT im Kabinett des KuK Monschau
Eröffnung am Sonntag, 10. Juni 2018 um 12 Uhr.
Öffnungszeiten: dienstags bis freitags von 14-17 Uhr sowie samstags und sonntags von 11-17 Uhr.
Adresse: KuK Kunst- und Kulturzentrum der StädteRegion Aachen, Austraße 9, 52156 Monschau.