Foto-Information
„Manegen der Macht“
Dem seit Jahrzehnten anhaltenden Negativimage der europäischen Parlamente als „Quasselbuden“ der Bürokratie setzt Jörg Hempel die ästhetische Wucht ihrer nationalen Parlamente entgegen.
Deren imperiale Ikonographie inszeniert er in machtpolitisch maximalem Pathos mit den klassischen Stilmitteln herrschaftlicher Autorität: Symmetrie und einer gravitätisch auf einen Punkt zulaufenden Zentralperspektive.
In mittelalterlichen Kreuzigungsdarstellungen befindet sich Christus als Weltherrscher in der Bildmitte, aber bereits in der Ästhetik der Antike gilt Symmetrie als Attribut des Royalen.
In den Schnittpunkt der Fluchtlinien ist immer die Person des (absoluten) Herrschers zu denken, der in den europäischen Parlamenten freilich durch den demokratisch legitimierten Redner ersetzt wird – was diesen aber nicht daran hindert, seine Machtbefugnis ebenso majestätisch in Szene zu setzen, wie seine historischen Vorgänger von Gottes Gnaden.
Dass Symmetrie ikonographisch nicht nur für himmlische Vollkommenkeit und absolute Herrschaft steht, sondern auch für Stagnation und Tod, ist im Kontext der Europäischen Union, wie man annehmen möchte, unerheblich. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Jörg Hempel fotografiert die Parlamente im Zustand ihrer Leergefegtheit. (Befinden sich die Volksvertreter vielleicht gerade in der Kantine, um die Höhe ihrer Reisekostenzuschüsse zu ermitteln?)
Der gespenstischen Leere der Räume steht deren üppige Ornamentik und überbordende Farbigkeit gegenüber. In strahlendes Licht getaucht, scheinen sie einen Vorschein auf das neue Jerusalem zu werfen, wie es den supranaturalen Tagträumen der Architekten vorgeschwebt haben mag.
Die von Hempel genüsslich eingefangene Farbenpracht erzählt in erdhaften Rot-, Braun- und Purpurrottönen von Prosperität und Wohlstand, während das päpstliche Blau-Violett anderer Aufnahmen der irdische Veranstaltung des Verwaltens und Debattierens einen spirituellen Nimbus verleiht.
Den schamlosesten Pomp entfalten dabei, wie erwartet, die ärmsten der armen Nationen. In diesem Fall vor allem Rumänien, dessen Parlament eher an den monumentalen Krönungssaal eines Gottkaisers aus sagenhafter Vorzeit erinnert, als an den Plenarsaal einer von ihrem »Conducător« bis aufs Hemd ausgeplünderten Nation.
So virtuos er auch auf der Klaviatur von Licht, Symmetrie und visueller Inbrunst spielt, sieht Jörg Hempel das repräsentative Pathos seiner Räume weniger idealisierend, als pragmatisch. Die Arbeiten wollen einen verbindenden Beitrag leisten, aufbauend auf bereits bestehenden geschichtlichen Werten, die europaweit seit Jahrzehnten und Jahrhunderten Bestand haben.
Durch Offenlegung der »Machtzentren« soll eine Transparenz in die Atmosphäre der politischen Entscheidungsfindung gebracht werden – die Durchleuchtung der legislativen Zentren Europas plädiert für eine Weltoffenheit, die jeder Bürger durch diesen Staatenbund gewinnen kann.
Foto-Details
Fotograf: Jörg Hempel
Datum: 2010